Auf der Suche nach der ältesten Flasche Wein Deutschlands fahre ich nach Bremen. Auf dem Marktplatz steht neben dem Roland auch das historische Rathaus, gebaut 1405 bis 1410. Erst rund zwei Jahrhunderte später, im Jahre 1608 bekam es seine heutige Renaissancefassade von Baumeister Lüder von Bentheim.

Heute geht es hinab in die Katakomben des Bremer Rathauses mit dem über 600 Jahre alten Weinkeller: dem Ratskeller. Hier lagert ein besonders wertvoller Wein. Der älteste Fasswein Deutschlands: ein über 350 Jahre alter Rüdesheimer Wein von 1653.
Ich stehe vor dem prachtvollen Rathaus. Auf der linken Seite befinden sich die berühmten Bremer Stadtmusikanten aus Bronze von Gerhard Marcks. Die Tierskulptur ist von Touristen umlagert. Daneben führen Stufen hinauf zur „Unteren Rathaushalle“ und davor befindet sich der Eingang zum Ratskeller. Ich öffne die Tür und gehe die Stufen hinab in einen recht großen Gewölbesaal, der von zwanzig Säulen getragen wird. Auf der linken Seite stehen meter hohe Weinfässer, das gößte mit einem Fassungsvermögen von 28.000 Flaschen Wein. Davor sind rustikale Sitzbänke und Tische aufgestellt. Auf der rechten Seite befinden sich sechs sogenannte Priölken. Hierbei handelt es sich um kleine Nischen für eine ungestörte Atmosphäre für bis zu fünf Personen oder perfekt für ein intimes Candle Light Dinner. Einst waren die Priölken für Kaufleute geschaffen, die sich dort ungestört mit den zurückkehrenden Kapitänen der Handelsschiffe treffen konnten, um ihre Geschäfte zu machen. Eine Tradition gilt noch heute: die Türen der Priölken dürfen erst geschlossen werden, wenn sich mehr als zwei Personen darin befinden. Der Grund lag schon damals darin, dass sich Pärchen in ihrer Zweisamkeit nicht zu ungestört fühlen und sich unschicklich nahe kommen. Hier treffe ich mich heute mit Ratskellermeister Karl – Josef Krötz. Er ist der Mann, der das Allerheiligste des Weinkellers betreten darf. Immerhin lagert hier das weltweit größte Sortiment deutscher Weine.

Nach einem kleinen Rundgang durch die verschiedenen Säle, dessen Details den Rahmen dieser Seite sprengen würden, gehen wir über verwinkelte Gänge bis zu einer Tür. Karl – Josef Krötz bleibt stehen. Wir sind am Zugang zum Apostelkeller. Die schwere Tür öffnet sich und im flackernden Kerzenschein erkenne ich zwölf Eichenfässer: sechs zu jeder Seite des Gewölbes. Ein kräftiger aber angenehmer Duft von Sherry steigt mir in die Nase.

Ich genieße für einen Moment den Augenblick und kann den Geist des Weines förmlich spüren. Um überhaupt ein Foto machen zu können, muss ich meine Kamera 32 Sekunden belichten lassen. Lediglich das Licht der Kerzen und ein schmaler Lichtschein aus dem Rosekeller beleuchten den Raum. Ratskellermeister Karl-Josef Krötz würde sich auch komplett ohne Licht zurechtfinden; er kennt seinen Weinkeller auswendig. Ich schreite die einzelnen Fässer ab und gelange zu einer halb geöffneten Gittertür. Dahinter befindet sich der Rosekeller, nicht zu verwechseln mit Rosékeller. Früher benannte man die besten Weine nach Blumensorten. Der beste Wein war demnach die Königen der Blumen: die Rose. Schwaches Tageslicht dringt durch ein Gitterfenster von oben in das kleine unterirdische Gewölbe. Direkt unter dem Fenster steht ein Eichenfass, davor ein kleiner Tisch mit zwei Kerzen. Hier steht das vielleicht wertvollste Weinfass Deutschlands, der heilige Gral des Weines. Ich stehe vor einem Fass Rüdesheimer Wein von 1653. Jahrhunderte lang lagert es hier, hat zwei Weltkriege unversehrt überstanden. Ausgeschenkt wird dieser Wein allerdings nicht mehr, aber man hat ihn auf Lager. Weitere Fässer in dem Gewölbe stammen aus den Jahren 1666, 1725 und 1731.

Es fällt mir schwer von den Fässern im Apostel- und Rosekeller Abschied zu nehmen aber Karl – Josef Krötz möchte mir noch etwas zeigen. Schließlich bin ich auf der Suche nach der ältesten Weinflasche Deutschlands. Wir verlassen das Gewölbe und gehen durch das heutige Weinlager mit rund 1200 Sorten deutscher Weine. Hinter Paletten mit Weinkartons gelangen wir zu einer massiven, aber kleinen und aufwendig mit Schnitzereien verzierten Holztür. Hier befindet sich der Eingang zu einem langen Tunnel, der rund sechs Meter unter der Erde in einem gewaltigen Weinkeller endet.

Überdimensionale Regale reihen sich aneinander. Auf zwei Ebenen lagern hier Weinfässer, alle mit einer Nummer beschriftet. Am Ende der Zwischengänge stehen Fässer die vom Boden bis zur Decke reichen. Hier unten ist die Zeit stehen geblieben. Sofort fällt mein Blick auf ein rund drei Meter hohes schmiedeeisernes Gittertor in einem Gewölbebogen. Darüber in goldener Schrift das Wort „Schatzkammer“. Ab hier hat nur der Ratskellermeister allein Zutritt.

Blau-violettes Licht scheint durch die Eisenstäbe hindurch. Dahinter liegen in quadratischen Steinfächern die teuersten Weine. Insgesamt lagern hier 8.500 Flaschen der besten Weine. Alle Flaschen sind mit einer Plastikfolie gegen Beschädigungen geschützt. Finde ich hier die älteste Flasche Wein?

Karl – Josef Krötz geht zu einem der Regale und zeigt mir verschiedene Weine unterschiedlicher Jahrgänge. Dann holt er vorsichtig eine Flasche heraus. In der Hand hält er das begehrte Stück. Der älteste noch trinkbare Wein Deutschlands: ein Rüdesheimer Apostelwein von 1727. Den Wert der Flasche verrät er nicht.
Wer Lust bekommen hat und selber einmal in die Katakomben des Ratskellers hinabsteigen möchte, kann im Rahmen einer Ratskellerführung zu festen Terminen daran teilnehmen. Informationen hierzu gibt es direkt auf der Seite des Bremer Ratskellers.

Ein Gedanke zu „Ein Wein aus dem Jahr 1653 auf Lager“
Guten Tag,
ich wollte Sie nur freundlicher Weise darauf hinweisen, dass die sogenannten Priölken aus anderen, als den genannten Gründen für 2 Personen offen stehen müssen. Zum einen ist es so das bei geschäftlichen unterredungen niemand wortwörtlich über den Tisch gezogen werden sollte (was durchaus vorkam, weshalb diese Regelung überhaupt eingeführt wurde) und zum anderen ist es so, dass der genannte Grund in dem Text nicht stimmen kann, auch wenn es die meisten vermuten, da es bis vor einiger Zeit Frauen nicht gestattet war die Räumlichkeiten des Ratskellers überhaupt zu betreten.
Mit hoffentlich aufklärendsten Grüßen,
T.R.
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